Antirassistische Demonstration in Köln: Solidarität mit allen Geflüchteten – Deutschland halt’s Maul!

Gestern fand in Köln eine kurzfristig angesetzte Demonstration anlässlich der rassistischen Ausschreitungen in Heidenau, aber auch der ekelerregenden Proteste gegen Asylsuchende und der nicht abreißenden Serie rechten Terrors statt, die derzeit durchs Land fegt. Dabei wurde auch auf das Totalversagen der sächsischen Polizei aufmerksam gemacht.

Die Demonstration war mit bis zu 1000 Personen sehr gut besucht. Reden wurden gehalten u.a. vom Antifa AK Köln, dem Verein AGISRA, Refugees Welcome Bonn und Einzelpersonen.

Unser Beitrag bestand aus der Rede, die wir bereits am vergangenen Samstag zu dem Vorfall im Paulusheim am 1. August gehalten hatten, ergänzt durch Anmerkungen zu den derzeitigen Brandherden des Neonaziterrors und Bemerkungen zum Verhältnis von Neonazismus und der Ideologie der sog. gesellschaftlichen Mitte.

Zum Nachlesen:

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,
wir haben uns heute hier versammelt, weil der rechte Terror in Deutschland mittlerweile wieder Ausmaße annimmt, wie es sie seit Anfang der 90er Jahre in dieser Form nicht mehr gegeben hat. Die rassistischen Übergriffe, Morde , Mordversuche, Brandstiftungen, Terroranschläge und die Hetze auf deutschen Straßen richten sich wie damals besonders gegen Asylsuchende – d.h. Menschen, die Krieg, Terror, Verfolgung, Diskriminierung, Hunger und Armut in ihren Heimatländern entflohen sind, um hier – mitten in Europa – Schutz zu suchen. Die jüngsten pogromartigen Ausschreitungen breiter Bevölkerungsschichten insbesondere in ostdeutschen Nazihochburgen bilden dabei nur die Spitze eines Eisbergs unvorstellbaren Ausmaßes und reihen sich ein in eine Serie rechter Hetze und Verrohung, die seit längerem andauert und deren vorläufiges Ende bislang nicht abzusehen ist.

Dass bei der Bekämpfung selbst dieser offenen Straßengewalt stumpfer Nazibanden, die sich nicht ganz zu Unrecht als Vollstrecker eines barbarischen Volkswillens sehen, auf die deutsche Polizei kein Verlass ist, zeigen die seit Tagen andauernden Angriffe auf die Asylunterkunft in Heidenau.
Nachdem die sächsische Polizei in kalkulierter Unterbesetzung bei den Nazikrawallen mit Ansage nicht konsequent durchgegriffen hatte, bestand nun ihr erstes nennenswertes Eingreifen in brutalen Übergriffen auf linke Gegendemonstrant_innen, die mit der Absicht angereist waren, die Asylbewerber_innen zu schützen, also de facto ehrenamtliche Polizeiarbeit zu leisten.

Auch ein Fall, der sich jüngst in Bonn ereignete, wirft ein schlechtes Licht auf den Umgang zumindest bestimmter Verbände der Polizei mit Asylsuchenden. Hierauf werden wir im Folgenden ein wenig näher eingehen.

[Der 23-Jährige Asylbewerber Sarifou Diallo wurde am Samstag, 1. August, von einem Spezialeinsatzkommando der Düsseldorfer Polizei über den Haufen geschossen. Ihn trafen acht Kugeln; wie viele abgefeuerte Kugeln ihn dabei verfehlten, ist noch unklar. Er wurde in Arme und Beine getroffen, aber auch in den Nacken – eine Kugel verfehlte seine Wirbelsäule nur um Millimeter. Dass er überlebte, war reines Glück.
Wie es zu diesem Vorfall kam, darüber wurde bereits ausführlich berichtet. Wer an den Details interessiert ist, der sei auf unsere Website verwiesen. Offen bleibt bislang die Frage, wie es zu der exzessiven Polizeigewalt kommen konnte. Bis Kölner Polizei und die Bonner Staatsanwaltschaft erste Ermittlungsergebnisse präsentieren werden, dürfte noch einige Zeit ins Land ziehen. Dennoch lässt sich bereits jetzt mit den bisher vorhandenen Informationen ein Bild des Geschehens zeichnen, das die Polizei und insbesondere das Düsseldorfer SEK im nicht gerade besten Licht erscheinen lässt.
So existieren zwei Videos des Vorfalls: Eins, das die Schuss-Salve der SEK-Einheit auf dem Rasenstück vorm Asylbewerberheim in Bonn-Endenich zeigt und eins, das die Szenen davor einfängt. Auf letzterem ist zu sehen, wie Sarifou aus dem Fenster des zweiten Stocks springt. Unmittelbar danach erfolgt offenbar der erste Schuss. Dass bereits an dieser Stelle mindestens ein Schuss fiel, belegt auch ein Einschussloch in einer nahe gelegenen Glastür. Vermutlich dadurch ausgelöst beginnt die panikartige Flucht des verletzten und verwirrten jungen Mannes, die später zur Rechtfertigung der lebensgefährlichen Schüsse herangezogen wird.
Während sich die viel zu selten beachtete Bonner Rundschau und zumindest anfänglich auch der Express um eine sachliche und ausgewogene Berichterstattung bemühten, stilisierte die BILD-Zeitung Sarifou zum „Amok-Afrikaner“ und „Messermann“, der sich „wie ein wild gewordenes Tier“ gebärdet habe und entblödet sich nicht zu fragen, ob er von einem Voodoo-Priester verzaubert worden sei. Eine solche Art der „Berichterstattung“ (in dicken Anführungszeichen) strotzt nur so von rassistischen Klischees, dass sich wohl jeder weitere Kommentar erübrigt.
Sofort nach dem Vorfall drängte sich Beobachtern die Frage auf, ob es denn wirklich nötig sei, einen geistig Verwirrten und verletzten jungen Mann, der mit zwei Messern bewaffnet ist, mit acht Kugeln zu stoppen oder ob der Polizei, die mit einem Großaufgebot vertreten war und zumal einem eigens für solche Fälle ausgebildeten Spezialeinsatzkommando nicht andere Mittel zur Verfügung stehen, eine solche Situation weniger eskalativ zu lösen.
Die übliche Antwort der einflussreichen Lobbyorganisation der Polizei, der sog. Gewerkschaft der Polizei, ließ folglich nicht lange auf sich warten und so forderte deren Vorsitzender der Kreisgruppe Bonn, Udo Schott, kürzlich im Generalanzeiger als Reaktion auf diesen Fall exzessiver Polizeigewalt die Ausstattung der Polizei mit effektiveren Waffen. Dieser Reflex ist so absurd wie er absehbar gewesen ist. Schott fordert die Ausrüstung jedes Streifenwagens mit Tasern, d.h. Elektroschockwaffen, die dort, wo sie im Ausland zum Einsatz kommen, bereits zu zahlreichen Todesfällen geführt haben. Zwar ist der Einsatz eines Tasers im Schnitt sicherlich weniger gefährlich als ein Nackenschuss mit scharfer Munition, dennoch stellt sich die Frage, wozu die Aufrüstung der Polizei dienen soll, wenn letztlich doch bevorzugt zur Schusswaffe gegriffen wird – im selben Generalanzeiger-Artikel steht nämlich zu lesen, dass die Spezialeinsatzkommandos längst mit Tasern ausgestattet sind.
Wäre es stattdessen nicht sinnvoller, die Ausbildung und Geisteshaltung der immer wieder durch Skandale in die Schlagzeilen geratenden SEKs einer genaueren Prüfung zu unterziehen?
So übertitelte die Welt vor weniger als zwei Monaten einen Artikel über den Folterskandal im Kölner SEK mit „Die brutalen ‚Stammesriten‘ der Elite-Polizisten“. Darin kommt ein Polizeiexperte zu Wort: „Während die Polizei in NRW sich als ,Bürgerpolizei’ versteht, gilt das SEK als die letzte Bastion reiner Männlichkeit“. Auch das Düsseldorfer SEK geriet in der Vergangenheit bereits ins Zwielicht, nachdem es 2011 in Köln 109 Schüsse auf einen in seinem Auto sitzenden iranisch-stämmigen Geschäftsmann abgefeuert und ihn dabei schwer verletzt hatte. In diesem Fall übernahm – genau wie jetzt – die Kölner Polizei die Ermittlungen gegen die Beamten und gelangte nach über vier Jahren zu keinem nennenswerten Ergebnis. Der Focus – ein linker Umtriebe wohl gänzlich unverdächtiges Blatt – sprach in diesem Zusammenhang von Vertuschung und bewertete den Polizeieinsatz sowie die anschließenden Ermittlungen vernichtend. Nicht nur entstand der Anschein, die beteiligten Beamten hätten ihre Aussagen miteinander abgesprochen, sondern es wurde gegen das Opfer der Schüsse Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben. Dennoch kam es auch vier Jahre später zu keinem Prozess und der Haftbefehl gegen den Iraner musste bereits vor langem aufgehoben werden.
Nun sehen wir uns wieder eine ähnliche Konstellation am Werke: Das Düsseldorfer SEK schießt und die Kölner Polizei ermittelt. Am Rande sei übrigens noch bemerkt, dass vor kurzem einer Meldung der Kölner Polizei zu entnehmen war, dass die Aachener Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen das Kölner SEK bezüglich der o.g. Foltervorwürfe eingestellt hat.
Und damit wären wir bei einem weiteren Problem: Die Ahndung möglicher Polizeivergehen in Deutschland im Allgemeinen. So kamen etwa 2013 rund 90% aller 2000 Polizeibeamter, gegen die wegen Gewaltverbrechen ermittelt wurde, ungeschoren davon. Den Grund dafür sehen viele in der Tatsache begründet, dass es in Deutschland die Polizei selber ist, die gegen ihre Kollegen ermittelt. Anders als in vielen demokratischen Rechtsstaaten gibt es in Deutschland keine unabhängige Ermittlungsbehörde, die polizeiliches Fehlverhalten ermittelt – ein Umstand, der bereits seit Jahren von Amnesty International und sogar von der UNO gerügt wird.
Ein besonders krasser Fall ereignete sich 2005 in Dessau, als der Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt auf einer feuerfesten Matratze im Polizeigewahrsam verbrannte. Hier ähnelten die ersten Prozesse gegen die verantwortlichen Beamten einer Farce, was sogar den zuständigen Richter dazu veranlasste, die Verhandlung als gescheitert zu bezeichnen. Zitat: “Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhaltes”. Der Richter führte dies auf die Falschaussagen der Beamten zurück, die im Polizeidienst „nichts mehr zu suchen“ hätten. Nach langem Hin und Her und dank der unermüdlichen Arbeit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh wurde letztlich zumindest einer der Verantwortlichen wegen „fahrlässiger Tötung“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch der Preis des zivilgesellschaftlichen Engagements war hoch: Die Initiative wurde von der Dessauer Polizei mit massiver Repression überzogen und überwacht.
Man muss kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um in diesem Verhalten ein Muster zu erkennen. Ähnlich wie im zuvor genannten Fall des Iraners, der erst vom Düsseldorfer SEK fast erschossen worden war, um dann unter dem Vorwurf des versuchten Totschlags angeklagt zu werden, wurden in Dessau diejenigen kriminalisiert, die sich um Aufklärung des Tathergangs zu Ungunsten der beteiligten Beamten bemühten.
Wir können nur hoffen, dass sich ein solches Muster nun in Bonn nicht wiederholt, sondern dass es ein transparentes Ermittlungsverfahren und öffentliche Aufklärung des Vorfalls geben wird.
Abschließend lässt sich anmerken, dass hierzulande stets gerne mit dem Finger auf die USA gezeigt wird, wenn es dort mal wieder zu tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze gekommen ist – wie zuletzt medienwirksam geschehen unter Bezugnahme auf den Hashtag ‪#‎blacklivesmatter‬ – jedoch ähnlich gelagerten hiesigen Fälle mutmaßlichen polizeilichen Fehlverhaltens mit beredtem Schweigen begegnet wird. ]

Zuletzt möchten wir auf das Verhältnis von sog. Rechtsextremismus und bürgerlicher Mitte eingehen.

In einer Vielzahl von Städten finden sich ganz unabhängig voneinander sogenannten „ganz normale Bürger*innen“ zusammen, um gegen geplante oder bestehende Unterkünfte für Geflüchtete oder etwa die Anwesenheit von Roma in ihrer Nachbarschaft Stimmung zu machen. Oftmals wird dabei eine vermeintliche Instrumentalisierung der Proteste durch Neonazis und andere Gruppierungen behauptet, die durch das Label »rechtsextrem« auf Distanz zur so genannten Mitte gebracht werden.

Doch was ist die immer wieder beschworene Mitte? Gehören zur Mitte empörte Bürger*innen, die Roma und Sinti als Ungeziefer bezeichnen, das ausgerottet gehört, oder doch eher die besorgten Anwohner*innen, die öffentlich einen Wertverlust ihrer Immobilien fürchten, wenn ein Asylbewerberheim in der Nähe eingerichtet werden soll? Sind die zahllosen Lokal- und anderen Politiker*innen Teil der Mitte, die bei den Ausbrüchen von rassistischen Bürgermobs von „ernstzunehmenden Bedenken“ in der Bevölkerung sprechen und sich stets beeilen zu versichern, die gesetzlich aufgezwungene Unterbringung von Geflüchteten sei nur eine vorübergehende? Wo sind die fast 40% der in einer umfangreichen Studie der Universität Bielefeld Befragten einzuordnen, die 2010 dem Satz zustimmen: „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen.“? Was ist mit dem Sprecher der Duisburger Polizei, der in Bezug auf die Mehrzahl der dort lebenden Roma aus dem EU-Ausland sagt, sie „kommen mit unserer Gesellschaft nicht klar. Die müssen weg.“? Wo ordnet man den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer ein, der „gegen die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme bis zur letzten Patrone wehren“ will? Wie verhält es sich mit Innenminister de Mazière, dessen Beitrag zur Asyldebatte vor kurzem darin bestand, 70 Jahre nach dem militärischen Sieg über die NS-Volksgemeinschaft wieder die Einrichtung von Sonderlagern für Roma und Sinti zu fordern?

Während es zum Standartrepertoire der überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung gehört, sich von Neonazis und anderen eher randständigen rechten Gruppierungen zu distanzieren, sind die in den Aufwallungen des bürgerlichen Mobs vertretenen Meinungen und Aussagen nur allzu oft mit deren Programmen kompatibel. Die Nazis nehmen dabei eine Doppelrolle ein: einerseits werden sie als Betriebsstörung und Unruhestifter begriffen, die nicht zuletzt schlecht fürs Geschäft sind, andererseits fungieren sie als nützliche Idioten, auf die sämtliche sich regende Kritik an den rassistischen Ausfällen abgeleitet werden kann. Gäbe es keine Nazis, ließen sich keine Sätze mit der Einleitung „Ich bin ja kein Nazi, aber…“ bilden, die sich nicht nur derzeit auf unzähligen deutschen Straßen vernehmen lassen. Dieses Wir-sind-gegen-Nazis-aber-man-wird-ja-noch-sagen-dürfen genießt dabei den Rang einer Art Zauberformel: So lange der Sprecher sich nicht offen als bekennender Nationalsozialist outet, sondern seine Sätze mit einer Variation dieser Formel beginnt, ist es fast egal, was danach folgt: Es wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit umgehend eine Bürgermeisterin, ein Polizeisprecher oder eine Provinzjournalistin finden, die oder der ihm »ernstzunehmende Bedenken« oder etwas Vergleichbares bescheinigt.

Den Fokus der Kritik hauptsächlich auf NPD, AFD, diverse Pro-Ableger und Neonazis zu legen, hieße daher, dem Abgrenzungsbedürfnis der ganz normalen Deutschen gegenüber den Nazis entgegenzukommen, das letztlich darauf hinausläuft, ersteren noch eine gewisse Berechtigung zuzusprechen. Stattdessen gilt es, daran festzuhalten, dass es in fremdenfeindlichen Bürgerinitiativen keine „ernstzunehmenden Sorgen“ der Bevölkerung gibt, sondern dass sich hier einzig und allein ein tief verwurzeltes und weit verbreitetes Ressentiment bahnbricht.

Das Problem heißt Deutschland. Neonazis sind vielleicht der sinnfälligste Teil des großen Ganzen, aber auch ohne sie gäbe es noch einen weiten Weg zurückzulegen, bis endlich ein Mindestmaß an Zivilisation im Umgang mit vermeintlich Fremden hier Einzug hält.

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