Rede vom 1. Mai

Auf der Liberträren Demo am 1. Mai wurde von uns folgende Rede gehalten:

Liebe Teilnehmerinnen der libertären 1. Mai-Demo,

ich spreche hier zu euch als Mitglied der Gruppe Refugees Welcome Bonn.
In Folge der 2012 zuerst in Würzburg, später auch in vielen anderen
Städten in diesem Land sich formierenden Flüchtlingsproteste sind auch
wir aktiv geworden, um uns ein Bild von der Lebenssituation in Bonn
lebender Geflüchteter zu machen, Kritik an den unwürdigen Zuständen zu
üben, unter denen sie gezwungen sind zu leben, und ihnen bei der
Selbstorganisation zu helfen. Daneben sind wir, weil Stadt und Land sich
weigern, ihrer Verantwortung nachzukommen, ständig gezwungen, auch bei
Dingen des täglichen Bedarfs, bei Arzt- und Behördenbesuchen, bei der
Vermittlung von Anwälten und ähnlichem zu helfen. Inzwischen haben sich
dabei Kontakte und Freundschaften entwickelt, über alle nationalen
Borniertheiten hinweg, es ist ein Pool von Freiwilligen entstanden, die
uns bei der Arbeit unter die Arme greifen und eigene Initiativen
ergreifen, und auch einige Geflüchtete haben sich uns angeschlossen, um
anderen bei ihren Problemen zu helfen.

Kaum etwas ist so zufällig, wie der Ort, an dem ein Mensch geboren wird
und der Staat, dem er zugeordnet wird. Manch einer hat sogar das Pech,
dass ihn kein Staat als Bürger aufnimmt – ein grausames Schicksal, denn
auch wenn aus diesem Status sehr lästige Pflichten erwachsen, ist
diejenige ohne Staatsangehörigkeit ziemlich rechtlos, auch wenn
internationale Verträge minimalen Schutz garantieren sollen. Während als
Deutsche anerkannte Personen oder die Bürger bestimmter Vertragspartner
des deutschen Staates noch relativ privilegiert hier leben können, ist
denjenigen ohne regulären Aufenthaltsstatus, mit laufendem Asylverfahren
und selbst denen, deren Asylanträge genehmigt wurden, eine Reihe von
Dingen verwehrt, die für die anderen selbstverständlich sind. Sie dürfen
nicht hier arbeiten und sind damit auf kärgliche Almosen und den
beengten Wohnraum angewiesen, der ihnen von offizieller Seite zur
Verfügung gestellt wird. Teilweise müssen sie jahrelang in den
miserablen Heimen der Stadt leben.

So ist eine aus fünf Personen bestehende junge Familie gezwungen, in
einem kleinen Zimmer zusammenzuleben und außer uns kümmert sich kaum
jemand um die speziellen Probleme, die sich aus dieser Situation
ergeben. Die Mutter, die schwanger ist und die selbst kein Deutsch und
kein Englisch spricht, müsste eigentlich jemanden zur Seite gestellt
bekommen, die für sie dolmetscht und sie bei Arztbesuchen unterstützt.
Die Familie bräuchte weit mehr als die paar Quadratmeter Wohnfläche, die
ihnen im Asylbewerberheim zur Verfügung gestellt werden, und sie
bräuchte Ruhe, damit sich die Kinder so stressfrei wie möglich
entwickeln können. All dies verwehrt ihnen das deutsche Asylregime.

Vielleicht habt ihr auch von den drei Menschen aus Nigeria gehört, die
wir mit unseren bescheidenen Mitteln unterstützen, so gut es geht. Umar,
Mustafa und Hauwa sind aus ihrem Heimatland geflüchtet, weil sie nicht
für die islamistische Terrorbande Boko Haram kämpfen wollten. Zunächst
arbeiteten sie in Libyen, bis der Aufenthalt infolge der Kämpfe zwischen
den Anhängern Gaddhafis und der Rebellen auch dort für sie unmöglich
wurde, weil man sie aufgrund rassistischer Verleumdungen für Söldner des
Diktators hielt, der angeblich viele Afrikaner mit dunkler Hautfarbe aus
anderen Staaten angeworben hatte. Deswegen versuchten sie, über das
Mittelmeer nach Europa weiterzuziehen. Wie viele tausend andere kamen
sie nach einer höchst gefährlichen Überfahrt auf der italienischen Insel
Lampedusa an Land. Hier beantragten sie Asyl und durften erst einmal in
Italien bleiben, allerdings mussten sie hier in slumartigen Unterkünften
vegetieren und auf Olivenplantagen für 2,50 Euro am Tag schuften, um
über die Runden zu kommen. Eines Tages aber beschlossen die
italienischen Behörden, die sich von ihren Kollegen in den reichen
nördlichen Staaten der EU und vor allem von den deutschen Behörden
allein gelassen fühlten, dass sie die afrikanischen Geflüchteten mit
einem kleinen Handgeld und Touristenvisa ausgestattet loswerden könnten
und schickten sie auf eine Reise in den Norden. Einige hundert Menschen
landeten auf diesem Wege in Hamburg und Berlin und Umar, Mustafa und
Hauwa kamen hier in Bonn an. Über zahlreiche Umwege, über die Caritas,
Amnesty International und das Oscar-Romero-Haus, lernten die drei uns
kennen und wir sie. Während andere Geflüchtete zumindest noch den
Anspruch auf eine Unterbringung und minimale Unterhaltsleistungen haben,
bekommen die drei von diesem deutschen Staat gar nichts – außer dass er
sie ständig bedroht, sie zurück nach Italien abzuschieben. Daher kümmern
wir uns darum, sie unterzubringen, sie mit dem Notwendigsten zu
versorgen und ihren Rechtsbeistand zu organisieren. Glücklicherweise
helfen uns inzwischen viele solidarische Menschen dabei, dies so gut es
geht zu realisieren. Dennoch aber bedroht der deutsche Staat sie, die
wir kennen und schätzen gelernt haben, die teilweise von
gesundheitlichen Problemen geplagt werden und eine traumatische
Fluchterfahrung haben, weiterhin mit Abschiebung in ein Land, in dem
sich ihnen keine Perspektive bietet und das sie als elender erlebt haben
als das vorrevolutionäre Libyen. Und die Stadt, die sich selbst für ihre
Weltoffenheit feiert und humanitären Spielraum hätte, was die rechtliche
Situation angeht, möchte sich nicht für die drei einsetzen.

Auch was die gesundheitliche Situation von anerkannten Flüchtlingen oder
Asylsuchenden angeht ist die Situation miserabel. Dies fängt schon mit
den Regularien an, denen sie unterworfen sind, müssen sie doch erst
einen Schein vom Amt holen, bevor sie sich untersuchen lassen können.
Weiter geht es aber mit zahlreichen weiteren Schikanen, denen
Geflüchtete in Deutschland leiden müssen. Einer unserer Bekannten
beispielsweise leidet unter Hepatitis und die Stadt will ihm die
kostspielige Behandlung nicht erstatten, solange es sich nicht um eine
lebensgefährliche Situation handelt, in der er steht. Von Prävention hat
man hier anscheinend noch nichts gehört, erst muss sein Leben gefährdet
sein.

Wenn die Stadt die Geflüchteten ansprechen will, so tut sie dies
grundsätzlich nur in Briefen, die in deutscher Sprache verfasst sind.
Dass viele den Brief nicht verstehen, interessiert bei der Stadt
niemanden, obwohl es wohl nicht zu viel verlangt wäre, zumindest eine
englische Übersetzung mitzuliefern, wenn man schon nicht die
Sozialarbeiter dazu verpflichten kann, es den Heimbewohnerinnen zu
vermitteln, die die Stadt angeblich zu ihrer Betreuung abgestellt hat,
von denen aber weder wir noch unsere Freunde, die im Heim leben, je
etwas gehört oder gesehen haben.

Dies sind nur wenige Beispiele für das herrschende Elend, dem
Geflüchtete in Bonn ausgesetzt sind. Das Elend hat aber leider eine
Systematik, aus der es hervorgeht. Deutschland versucht, sich von den
Flüchtlingsströmen abzuschotten, die die herrschende Weltunordnung
hervorbringt, weshalb es gegenüber anderen EU-Staaten beispielsweise auf
der sogenannten Drittstaatenregelung beharrt. Diese ermöglicht es, die
Verantwortung für die meisten Geflüchteten, die Deutschland trotz
massiver Grenzkontrollen erreichen, an die Staaten an den Außengrenzen
der EU abzuschieben, in denen sie erstmals das Gebiet der Europäischen
Union betreten haben. Gleichzeitig versucht die herrschende Politik
allerdings auch, den Anschein von Humanität aufrecht zu erhalten, will
sich doch gerade Deutschland als Weltfriedensmacht, als humanerer
Konkurrent der Weltmacht USA präsentieren, und aus diesem Image Kapital
schlagen. Die völlige Abschaffung des Asylrechts wäre außerdem
vermutlich mit den eher linken Parteien, die an der Ausgestaltung dieser
Politik beteiligt sind, nicht zu machen. Gezwungenermaßen nimmt
Deutschland also doch ein paar Menschen auf, die hier Asyl beantragen,
versucht aber, möglichst wenigen eine möglichst kurze
Aufenthaltserlaubnis zu geben, möglichst wenig Geld auszugeben und den
hier lebenden Geflüchteten die Zeit so unangenehm wie möglich zu machen.
Hinzu kommt der in Deutschland herrschende Rassismus, der weite
Bevölkerungsteile eint und den Scharfmacher von rechts immer wieder
nutzen können, um sich selbst beim rechten Wahlvolk beliebt zu machen.
Aus dem Widerspruch – eigentlich würde das nationale Gesamtinteresse
lieber keine Flüchtlinge hier mit durchfüttern, aber allzu brutal kann
man das auch nicht machen, weil es dem Image schaden würde; weite Teile
der Bevölkerung sind Rassisten, mit anderen wäre aber eine Politik nicht
zu machen, die gar keine humanitäre Komponente enthält, so klein diese
im Detail auch immer sein mag – ergibt sich eine Politik, die ein
vollkommen ausgehöhltes Asylrecht hervorbringt. Die Menschen, um die es
dabei geht, werden dabei bloß als Material aufgefasst, mit dem man
umzugehen und das man irgendwie zu organisieren hat, statt ihnen ein
Leben in Freiheit und Würde zu ermöglichen.

Auch gegen diese Politik stehen wir ein – neben der täglich uns
aufgenötigten Arbeit zur ganz praktischen Unterstützung der Geflüchteten
– und gehen heute auf die Straße. Unser Ziel ist eine Welt, in der alle
Menschen sich als Individuum entfalten können, ohne von anderen
marginalisiert und eingeschüchtert und an dieser Entfaltung behindert zu
werden. Dass dieses Ziel weit entfernt scheint, hindert uns nicht, daran
zu arbeiten.

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