Zum 25. Mal jähren sich diese Woche die pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, bei denen ein Volksmob als Bündnis angereister Neonazis mit den ganz normalen Deutschen aus der Nachbarschaft und unter den Augen der Polizei versuchte, eine Gruppe von vietnamesischen GastarbeiterInnen zu ermorden. Wir möchten die Erinnerung an diese Ereignisse zum Anlass nehmen, ein paar kurze Gedanken zu der derzeitigen medialen Befassung mit dem Thema Rassismus beizusteuern.
Der Terror von Rostock stellte eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte dar – nicht, weil nicht schon zuvor und auch danach rassistische Übergriffe und Morde in Deutschland verübt wurden, sondern weil sich hier ein ganz offener Schulterschluss zwischen Durchschnittsbevölkerung und Neonazis sowie in letzter Instanz auch der Polizei zeigte, deren Agieren nach Tagen der geduldeten Krawalle bis zur Brandstiftung darin bestand, mit Gewalt gegen angereiste antifaschistische GegendemonstrantInnen vorzugehen.
Derzeit beschränkt sich der mediale Blick vornehmlich auf US-amerikanische Rassismusprobleme, die es zweifellos gibt und die dort auch im offenen Diskurs ausgetragen werden.
Was es in den USA nicht gibt, sind die fast täglichen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte (, die in den meisten Fällen nichts anderes darstellen als Mordversuche) und andere Übergriffe. Der rechte Terror zeigt sich hierzulande derzeit nicht mehr vornehmlich im schlecht beleumundeten Pogrom, sondern in der Statistik. Nun mag es zwar einer gewissen medialen Dynamik geschuldet sein, dass der Nachrichtenwert von Statistiken weniger wiegt als brennende Autos o.Ä., allein erklärt diese verzerrte Repräsentation der Wirklichkeit das Phänomen nicht.
Die derzeitige öffentlich geäußerte Haltung zum Thema in Deutschland dürfte sich (in verkürzter Fassung) etwa so zusammenfassen lassen: Rassismus ist zwar nichts Gutes – v.a. im Gewand historischer NS-Bezüge und der damit verbundenen negativen Rückwirkungen aus dem Ausland – man muss aber auch die berechtigten Sorgen der Bürger verstehen, denn Flüchtlinge begehen ja schließlich Straftaten. Entschlossenes antifaschistisches Vorgehen gegen deutsche Neonazis und Rassisten, bei dem durch Polizeiinterventionen zwangsläufig immer mal wieder Sachschäden entstehen wird ebenso öffentlich verurteilt, teils mit dem Agieren von Neonazis auf eine Stufe gestellt. Solcherlei Darstellungen sind in der deutschen Presse seit Langem völlig normal.
In den letzten Tagen regte sich ein Aufschrei über die jüngsten Entgleisungen des fraglos reaktionären und vermutlich auch nicht ganz zurechnungsfähigen Präsidenten Trump, der nach den Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und AntifaschistInnen in Charlottesville, bei denen viele GegendemonstrantInnen verletzt und eine getötet wurde, von „blame on many sides“ fabulierte.
Diese Äußerungen sind durch nichts zu rechtfertigen und dementsprechend folgte auch harsche Kritik aus allen Segmenten der amerikanischen Gesellschaft inklusive der eigenen Partei.
Besonders rezipiert wurde hierzulande ein unmissverständliches Statement des republikanischen Ex-Gouverneurs Arnold Schwarzenegger, in dem er deutliche Worte der Kritik für seinen Parteikollegen und Präsidenten fand. Dies wurde umgehend von der auflagenstärksten Zeitung Deutschlands aufgegriffen, um die Überlegenheit des vermeintlichen Österreichers (mithin Volksdeutschen) Schwarzenegger gegenüber dem Ami-Trottel Trump herauszustellen. Geflissentlich überhört muss dabei wohl der Teil der Ansprache des Amerikaners Schwarzenegger worden sein, in der er den heimkehrenden Wehrmachtssoldaten des zweiten Weltkriegs bescheinigte, als gebrochene Menschen zurückgekehrt zu sein und jetzt in der Hölle zu rotten. Nicht allein seine unzweifelbar antifaschistische Haltung (Schwarzenegger spendete noch einen höheren Betrag ans Simon-Wiesenthal-Center, mit dessen Namensgeber er freundschaftliche Verbindungen pflegte) weist Schwarzenegger als echten Amerikaner aus. Die Tatsache, dass die Bildzeitung den österreichischen Geburtsort, aus dem er zufälligerweise entkrochen ist, um in der Neuen Welt zu leben, dazu heranzieht, Schwarzenegger als Deutschen zwangseinzugemeinden, der die Amerikaner Mores lehre, zeigt, wie deren Schreiberlinge selbst einer rückwärtsgewandten Blut- und Boden-Ideologie verhaftet sind, bei der es nicht darauf ankommt, wo eine(r) hin will, sondern wo er oder sie herkommt. Als Randbemerkung sei hinzugefügt, dass, wer sich jetzt diebisch über Schwarzeneggers Trump-Schelte freut, vielleicht Schwarzeneggers Wehrmachtsäußerungen mit der damaligen Berichterstattung über die Reemtsma-Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht vergleichen sollte.
Abseits derartiger Geplänkel um mediale Aufregerthemen, sollte der Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten gerichtet werden und diese verbergen sich nun mal oft in öder Statistik.
Während es in den USA regelmäßig zu extensiver Berichterstattung über hate crimes kommt, die, auch wenn es sich um individuelle Verbrechen handelt, es oftmals in die nationalen Nachrichten schaffen, gibt es hierzulande nicht einmal vergleichbare juristische Instrumente und dort, wo etwa niedere Beweggründe wie Ausländerhass geltend gemacht werden könnten, fallen sie nicht selten unter den Tisch oder werden aktiv geleugnet. Ein Beispiel (unter vielen) dafür ist der Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Altena, bei dem zwei Feuerwehrmänner ein Haus in Brand setzten, in dem sich sieben syrische Flüchtlinge befanden. Außerdem deaktivierten sie die Brandmeldeanlage, was ein sehr deutlicher Hinweis auf die Mordabsicht ist. Den Männern, die angaben, aus „Verärgerung über den Einzug von Flüchtlingen in das Wohnobjekt“ gehandelt zu haben, wurde seitens der Behörden keine rechtsradikale Haltung zuerkannt, was in der Minimalanklage der bloß schweren Brandstiftung gipfelte. Erst Opferanwälte konnten durch die bereits von den Ermittlungsbehörden gesichteten Telefone der Täter durch zahlreiche Hitlerbilder und NS-Bezüge nachweisen, dass selbstverständlich eine eindeutig rassistische Motivation vorlag. Eine Verurteilung erfolgte schließlich dennoch nur wegen schwerer Brandstiftung.
Letztlich gilt nach wie vor: Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, Xenophobie, Homophobie sowie andere Diskriminierungsformen müssen überall und zu jeder Zeit bekämpft werden – auf allen Ebenen und wenn nötig auch mit allen Mitteln.
Antiamerikanische Schattenkämpfe verbieten sich vor dem Panoptikum des täglichen rechten Terrors auf deutschen Straßen ebenso wie vor dem Hintergrund der jüngeren und nicht mehr ganz so jungen Geschichte.
Man kann es je nach Belieben biblisch mit Verweis auf den Balken im eigenen Auge formulieren oder mit Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
Siehe auch:
http://www.spiegel.de/einestages/rostock-lichtenhagen-1992-und-die-auslaenderfeindlichen-krawalle-a-1163378.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Brandanschlag_von_Altena
https://youtu.be/FN_YIBr0ELM (die Durchsage vom Terminator)